Auf Umwegen zum Etappenziel, Mandi – Kullu, 19. Mai

Auf Umwegen zum Etappenziel, Mandi – Kullu, 19. Mai

Die Übernachtung im Schlachthof (Siehe Bericht 18. Mai) ist kurz, sehr kurz. Erstens möchte ich nicht so richtig schlafen gehen und zweitens bin ich um 06:00 Uhr wach. Also 4,5 Std. Schlaf müssen heute reichen. Ich packe schnell meine Sachen zusammen bevor die ersten Tiere angeliefert werden, nachher wollen die noch in meinem Schlafsack. Als Erstes steuere ich auf den Marktplatz zu und besuche, wie am Vortag versprochen, erneut einen lokalen Händler. Ich habe ja Zeit heute Morgen denn ich muss Geld tauschen und die Banken öffnen erst um 10:00 Uhr. So gibt es den obligatorischen Tee und wir unterhalten uns ausgiebig. So erfahre ich, das der Ladenbesitzer als Kind in der Kaschmir Region aufgewachsen ist. Sein Vater hat nach Bombenanschläge in der eigenen Stadt Haus, Hof und Geschäft verkauft, um nach Ladakh in der Stadt Leh auszuwandern. Ehefrau, Kind und Familie wohnen noch dort, er betreibt das Geschäft in Mandi. Finanziell gehe es seiner Familie wieder gut aber es fällt ihm schwer getrennt von Frau und Kind zu leben da er sie nur alle 2 bis 3 Monate sieht. Wer würde das nicht schwierig finden.
Als die Bank geöffnet hat stellt sich heraus das weder diese noch eine andere Bargeld tauschen. Die aus meinem Reiseführer und von andere Touristen erhaltene Information dass Geldwechsel ohne Probleme möglich ist, ist also nicht allgemein richtig. In Touristenzentren wie Mcloud Ganj ist dies uneingeschränkt richtig aber weder in Palampur noch in Mandi war es möglich Geld zu tauschen. Ein mal habe ich sogar versucht an einem ATM (Geldautomat) Geld zu bekommen und bin daran kläglich gescheitert. Ich beschließe das die verbleibenden Rupien ausreichen, um in Kullu anzukommen, um dort nach einer Lösung zu suchen.

Also wird mein GPS mit dem Ziel gefüttert und ich folge brav den Anweisungen meines Garmins. Aus Mandi raus steigt die Straße, fleißig gewinne ich Höhenmeter aber keine Kilometer. Hatte der Ladenbesitzer nicht gesagt es seien nicht viele Berge auf der Strecke nach Kullu? Wahrscheinlich ist der noch nie mit dem Rad gefahren und hat keinen Bezug dazu was steil ist.
An der Straße finden Instandhaltung arbeiten statt, und zwar alles in Handarbeit. Da werden mit der Spitzhacke die Beschädigungen im Asphalt freigelegt, der Schotter mit den Händen aufgehoben und der Teer in Fässern am Straßenrand aufgekocht. Eine Plackerei und Stinkerei ohne gleichen. Im übrigen werden die schweren Arbeiten dort von Frauen und Kindern erledigt, ein für uns sehr gewöhnungsbedürftiger Anblick. Weiter oben in den Bergen bin ich einen “Bautrupp” begegnet da waren die Arbeiter nicht älter als 15 Jahre. Leider war ich da schon so ausgepumpt das ich keinen Sinn mehr dafür hatte Bilder zu machen.

Als ich den ersten Gipfel erreiche zeigt mein Höhenmeter + 1700 Meter an, da Mandi auf 850 Meter liegt sind die ersten 850 Höhenmeter schon mal im Sack. OK denke ich dann geht es jetzt Bergab und danach ist es relative flach, irgendwie muss ich ja erst einmal aus dem Tal hinaus.
Die Abfahrt ist natürlich ein Traum und geht richtig flott. Ich biege ab, um über eine Brücke den Fluss zu überqueren und fahre in ein Dorf hinein, welches auf 785 Meter liegt. Als ich sehe, das am Ende des Dorfes die Straße wieder steigt, geht mir ein Licht auf. Ich parke mein Rad vor einem Restaurant und bestelle mir Reis mit Bohnen. … ob das gut geht? Beim Essen wird mir dann klar auf welcher Straße ich mich befinden, mein GPS fand es spannender mich über, statt um die Berge zu führen, obwohl ich angegeben hatte so wenig wie möglich Höhenmeter zu fahren. Gut, was tun?

Mein Kartenmaterial gibt nicht wirklich Auskunft darüber, ob noch ein oder sieben Pässe auf mich warten also entscheide ich anhand der verbleibenden Kilometer weiter, statt zurückzufahren. Nach dem Mittagessen geht es weiter Bergauf, und zwar genau wie vorhin für Stunden bei kuscheligen 34 Grad. Trotz der vielen Pausen und “Glukosetankstellen” in Form von Cola / Fanta oder deren indischen Derivaten bin ich irgendwann am Ende. Mittlerweile zeigt mein Höhenmeter schon wieder +1400 Meter an. Ich suche einen schattigen Platz, ziehe mein Shirt aus und lege mich neben meinem Rad für eine Stunde auf den Asphalt.
Ein wenig ausgeruht geht es schön langsam weiter, aber schnell wird die Straße zu einer Piste. Ich senke den Druck in meine Reifen damit das Rad nicht ständig hin und her titscht und ich ein wenig mehr Fahrkomfort habe. Das ist der große Pluspunkt an den 29+ Ballonreifen, nicht nur der Komfort erhöht sich ich brauche tatsächlich weniger Energie beim Befahren schlechter Wege. Das begründet sich (vereinfacht) darin das ich die Hindernisse, in Form von Steinen, nicht überwinden muss, sondern das der Reifen diese einfach schluckt. Ein Nachgeben des Reifen erfordert weniger Energie als das Überrollen. Da gibt es von einem Studenten der Sporthochschule Köln eine interessante Arbeit zu.
OK, großer Reifen hin oder her, Bergauffahren mit 35 kg Gepäck zieht die Waden leer. Ich strampele dennoch unbeirrt mit 4 km/h weiter, irgendwann muss der Berg ja ein Ende haben. Irgendwo im Nirwana zwischen Steine und Staub finden wieder Straßenarbeiten statt und es staut sich ein wenig weil der frisch angelieferte Straßenunterbau verteilt werden muss. Ich schiebe mein Rad vorbei an den wartenden Fahrzeugen, lasse die Selfies Arien mit allen Indern freundlich geschehen – komme mir schon fast wie ein Bollywood Star vor – und mache am Ende der Baustelle noch eine Pause. Als ein Kleinlaster sich festfährt in dem losen Schotter, helfe ich kurz beim Befreien des fahrenden Schuhkartons.

Das war mein Glück, der Fahrer fragt, wo mein Ziel liegt. Als ich sage Kullu meint er, er könne mich zumindest bis oben auf dem Berg mitnehmen. Da mein GPS schon wieder + 1600 Meter anzeigt, nehme ich freundlichst an. Ehrlich, den Rest des Berges hätte ich nicht geschafft, es ging noch gute 15 Km auf übelsten Straßen weiter bergauf, als wir oben ankommen zeigt das Garmin 2063 Meter an.
Ich entlade das Bike und kontrolliere vor der Abfahrt noch mal ob alles fest verstaut ist, ziehe eine Windjacke über und Handschuhe an um die 16 Kilometer lange Abfahrt zu starten.
Da mir bewusst ist das ich müde bin und die Straße löcherig, lasse ich aber Vorsicht walten und zügele mein Gefährt. Schwerstarbeit für die Bremsanlage, 150 kg Masse über eine so lange Strecke abzubremsen, könnte ich diese Energie nur einlagern für den kommenden Anstieg. Bei solche lange Abfahrten bin ich immer wieder froh die hydraulischen Scheibenbremsen mit 200 / 180 mm Durchmesser zu fahren statt einer mechanischen Anlag. Erstens brauche ich weniger Handkraft, zweitens ist sie besser dosierbar und drittens hat sie deutlich mehr Bremskraft. Der Dritte Punkt kam mir an einer Stelle zugute wo in einer Kurve ein Motorrad einen Bus überholte, da musste ich mangels Platz für mein Gefährt mal eben den Anker schmeißen. Die gute alte AVID CR braucht zwar in puncto Wartung Aufmerksamkeit wie eine Diva, aber wenn die Diva Bergab auf ihrer Bühne steht performt sie einwandfrei. Nach diesem Schreckmoment geht es unbeschwert weiter bis ich Bajaura erreiche.

Nun sind es noch 14 km bis Kullu und diese gehen noch überwiegend bergab. Als ich Kullu (1280 Meter) erreiche ist es noch hell und jede Menge los. Eine Britische Touristin kann mir Auskunft geben über Möglichkeiten zum Geldtausch, sagt mir aber ich solle unterschiedliche ATM (Geldautomaten) ausprobieren da manche nicht funktionieren. Das mit dem ATM probiere ich unmittelbar aus und habe auch sofort Erfolg, cool ich kann mir heute Nacht ein Hotel leisten ;-). Nach einem Gang über den lokalen Sport- und Marktplatz spricht mich ein Mann aus seinem Auto an und bietet mir ein Zimmer an. Ich folge ihm zu seinem Hotel, es liegt in einer ruhigen Straße hinter dem Getümmel, hat ein gutes Zimmer/ Badezimmer und der Preis stimmt. Heureka, zwei Lösungen innerhalb von einer Stunde, wenn das so weitergeht …. ok diesen Satz schreibe ich nicht zu Ende ;-).


Sofort beziehe ich das Zimmer und vergewaltige die Dusche mit meinem leicht desolat verunstalteten Körper. Zwei Tage Radfahren bei Bullenhitze und Staub sowie eine Nacht im illegalen Schlachthof übernachten hinterlassen ihre Spuren. Ich wasche meine Kleidung, ziehe mich um und mache mich auf der Suche nach einem Restaurant. Wieder ein Heureka, ich habe noch nie in meinem Leben ein so leckeres Chicken Tandoori gegessen. Nachdem ich mich an die Optik und den Hygienestandard der Restaurants gewöhnt habe ist mein Qualitätsmerkmal für ein Restaurant die Anwesenheit von lokaler Bevölkerung. Sind diese vorhanden und das Restaurant voll gehe ich hinein, egal wie es aussieht. Sauber, zufrieden und gesättigt schlafe ich in dieser Nacht hervorragend.

Cu
Phil

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