Von Luftwaffe und Schneeanzuginder, 24.05 Old Manali – Rothang Pass, Himalaja, Indien
Morgens früh um 06:00 sitze ich bereits im Sattel, es geht wieder abwärts von Old Manali nach Manali zur Hauptstraße. Um diese Uhrzeit ist die Stadt sogar einigermaßen zu ertragen. An der Brücke zur Straße Richtung Norden zeigt mein Display vom Garmin 1900 HM glatt, damit liegen 2100 Meter Anstieg und gute 60 km Strecke vor mir. Also unbedingt beim nächsten Frühstücksstand anhalten und ein Omelett aus 2 Eiern mit Brot und Tee bestellen. Hätte ich gewusst was vor mir liegt, hätten ein Dutzend Eier den Besitzer und Aggregatzustand gewechselt.
Die Anfahrt von Manali zum ersten Checkpoint des Passes sind ca. 10 Km. Dieser Weg ist gepflastert von Anbietern von Ausflügen in den Schnee / auf den Rothang Pass und es gibt alle 50 Meter ein Anbieter zur Anmietung von Schneeanzügen. Das ganze gemischt mit einer Horde hupender Autos und fliegenden Händlern aller Waren ergibt ein total skurriles Bild. Dazwischen lauter Inder der aufsteigenden Mittelklasse, diejenigen, die sich Tourismus im Land leisten können, welche bei guten 25 Grad in Schneeanzügen herum laufen. Ich muss wirklich über die ein oder andere gesichtete Szene lachen.
Weniger zu lachen haben die unteren Kasten in Indien, überall sieht man Ihre Lager / Zeltlager. Diese Menschen leben einfach an der Straße und sind da, Ende. Keine Perspektive, kein Eigenantrieb, einfach nur sein. Für Europäisch geprägte Denkmuster ist so ein Zustand wirklich schwer nachvollziehbar. Mit Rajid habe ich lange und ausführlich über das Kastensystem, die Kastenlosen, die Ausbeutung der Menschen und die vor gut 10 Jahren begonnenen starken Veränderungen in Indien gesprochen. Er hat mich auf Dinge auf der Straße aufmerksam gemacht welche ich als Tourist / Backpacker so gar nicht wahrgenommen hätte.
Eine der Hütten aus einem der Lager am Wegesrand hat eine Satellitenschüssel auf dem Dach, wieder so ein surrealer Moment auf meiner Reise, es werden weitere folgen (ich bin ja schon ein paar Tage weiter).
Bevor es weitergeht in dieser Geschichte benötigt Ihr ein paar Informationen zum Rothang Pass. Er hat sehr hohe wirtschaftlichen und militärische Bedeutung für das Land, dies ist auch der Grund warum aktuell an einem Tunnel gearbeitet wird, um den Pass zu ersetzen. Dieser Tunnel wird für die Bergregionen Veränderungen herbeibringen, darauf werde ich in einem späteren Bericht noch eingehen. Hier ist es wichtig zu wissen, dass der touristische Verkehr auf dem Pass beschränkt wird, es sind tägliche Höchstmengen an Benzin- und Dieselfahrzeuge festgelegt. Auf den gesamten Anstieg bis zum Gipfel gibt es 3 Kontrollstationen, jeder “Touristentransport” hat ein Permit zu erwerben, je höher/weiter gefahren wird, desto teurer das Ticket.
Nach Auskunft eines lokalen Händlers in Manali, brauche ich keine Genehmigung, da ich ja mit einem Rad unterwegs bin und weder Diesel noch Benzin Motor habe. Also fahre ich an der am ersten Kontrollposten stehende Autoschlange komplett vorbei und ich werde auch tatsächlich freundlich durchgewunken. Die Kollegen am Posten fragen mich zwar dreimal ob ich da wirklich hoch möchte, aber es läuft einwandfrei.
Auch der Anstieg verläuft ohne nennenswerte Vorkommnisse, lediglich der Verkehr ist heftig. Es kommt mir vor als ob der Erste Schneeanzug, welcher oben ankommt, ein Freieis gewinnt. Nun gut, ich lasse die stinkende Horde Schneeanzugtransporter vorbeirauschen, mir bleibt ja nichts anderes übrig. Zu meiner Überraschung sehe ich plötzlich einen Stau vor mir. Ich fange tatsächlich an die ganzen Autos wieder einzuholen, großes Staunen.
Nun das Ganze hat zwei wesentliche Ursachen.
Die Erste: Überholen in der dritten Reihe in nicht einsehbare Kurven bei vollem Gegenverkehr funktioniert in Indien durchweg, aber eben nicht am Rothang Pass. An jeder zweiten Spitzkehre fahren die sich tatsächlich gegenseitig fest. Das Ganze wird natürlich von Hupkonzerten und wild gestikulierenden Fahrern begleitet die Ihre Schneeanzuginder schwitzend im Auto sitzen haben. Herrlich, und ich überhole sie alle wieder lächelnd.
Die Zweite: weiter oben kommt der Zweite Checkpoint. Hier waltet offenbar die indische Bürokratie denn das geht alles so langsam das Ca. 2 Km vor dem Checkpoint der Stau beginnt. Also radele ich gemütlich, zwischen den fliegenden Händlern (Essen) an der Kolonne vorbei und werde dabei mindestens 50 mal fotografiert. Hinter diesem Checkpoint ist die Hölle los. Die Schneeanzuginder haben Hunger und müssen mittlerweile mal, die sitzen ja schon 3 Stunden schwitzend im Auto.
Ich entfliehe diesen Ort des Wahnsinns und steige vier Spitzkehren höher, bevor ich mein selbst transportiertes Mittagessen zu mir nehme. Selbst einige der indischen Touristen entweichen dem Stau und dem Gewühl und gehen schon mal ein Stück zu Fuß weiter damit das Taxi nach dem Passieren des Checkpoints sie wieder aufgabelt. Einige dieser Wanderer haben noch immer ihren Schneeanzug + Gummistiefel an und machen davon auch noch Selfies, WTF?
Nach meinem Mahl geht es weiter, mittlerweile habe ich gut 3000 Meter erreicht, schon wieder Stau. Der Verkehr ist unerträglich laut, weil die Inder keine 3 Meter ohne zu hupen fahren, zum Glück wird von einem Polizisten ein wenig der Fluss geregelt. Als ich mein Rad an den Autoschlangen vorbeischiebe, sehe ich plötzlich, was los ist.
Ich habe den Platz mit der höchsten Bevölkerung-dichte in Indien gefunden, ein zwei Fußballfeld großes Schneefeld im Rothang Pass. Auf diesem Fleck Himalaja tummeln sich hunderte der Schneeanzuginder in Ihren Gummistiefeln und freuen sich wie ein Schneekönig. Ich finde das völlig Schräg, habe aber gerade keinen Sinn dafür mir das Ganze anzuschauen, ich muss mich durch Horden von Taxis kämpfen, es geht richtig steil bergauf und ich brauche dringend Kaloriennachschub. Auf 3200 Meter befindet sich schließlich ein Dorf mit allem, was ich brauche: Ausblick auf das Schneefeld, Essen, Trinken, Örtlichkeiten. Es ist zwar eine “Touri-Abfertigungs-Maschinerie” und das bisher schlechteste Mittagessen in Indien, aber es sind die dringend benötigten Kalorien.
Nach dem Essen steht ein Gang zu den Örtlichkeiten an, keine Angst, es folgen keine Details. Bemerkenswert ist das diese Aktivität einen Puls von 135 und Schwindel verursacht hat, da macht sich die Höhe und die Anstrengung des Anstiegs wohl bemerkbar. Als ich aus dem Häuschen komme, ist es draußen Dunkel, Wetterumschwung. Soll mir recht sein, so habe ich einen Gegner weniger, Höhenmeter und Anstieg reichen aus, Danke.
Am Ende des Ortes, der Dritte und letzte Checkpoint (Bewaffneter Militärposten). Die wollen mich tatsächlich erst nicht passieren lassen ohne Permit. Ich sage ihm der Direktor des Touristenbüros hätte mit mir einen Tee getrunken und dabei versichert, dass ich kein Permit brauche für ein Fahrrad, falls es Probleme gibt, sollen die telefonisch nachfragen. Tatsächlich war es zwar der Besitzer eines Kaffeeladens aber das wissen die ja nicht. Auf die Nachfrage wie der Mann hieß erläutere ich dem Soldaten das es mir unheimlich leid tut, aber ich finde als europäischer Tourist die Namen unheimlich schwer zum Aussprechen, geschweige denn um sie mir zu merken. Bevor er mich fahren lässt will er noch wissen, wo ich übernachten möchte. Als ich ihm sage oben auf dem Pass im Zelt hält er mich für völlig übergeschnappt lässt mich aber fahren.
Ab jetzt ist kaum noch Verkehr vorhanden, denn hier fahren keine Schneeanzuginder Transportfahrzeuge mehr. Es findet lediglich der Verkehr zu den Ortschaften hinter dem Pass statt. So weit so gut, aber die Höhe macht mir ab 3300 Meter echt zu schaffen. Zudem bin ich in diesem Jahr ohne Training aufgebrochen, ich hatte vielleicht 300 Km vor der Reise und die 230 km von Dharamshala aus. Ein weiterer Punkt, welcher den Anstieg erschwert ist die ständig ändernde Steigung. Selten kann man mehr als 300 Meter fahren, ohne zu schalten. So findet man keinen richtigen Rhythmus. Alle Faktoren, Mangelendes Training, Höhenluft, Gepäck und wechselnde Steigung schlagen jetzt heftig zu.
Ab 3700 Meter fängt es immer wieder an zu regnen, ich befinde mich stellenweise komplett in den Wolken. Ab 3800 Meter muss ich regelmäßig Schiebepassagen einlegen, da ich nicht mehr treten kann. Als ich auf genau 3900 Meter angekommen bin hält ein schwarzer Geländewagen an und bietet mir an mich mitzunehmen. Ich bedanke mich höflich dafür das er mir seine Hilfe anbietet, aber erstens würde mein Rad nicht in seinem Auto passen, zweitens wären es nur noch 80 Höhenmeter und diese möchte ich aus eigener Kraft schaffen. Er sagt, Yes man, that is adventure, go on”.
Von den letzten 80 Höhenmetern schaffe ich vielleicht 20 auf dem Rad sitzend, den Rest muss ich schieben. Als ich auf den Gipfel ankomme, sind es 19:00 Uhr und ca. 8 Grad, bei mir ist der Ofen aus. Ich war mit Pausen und Fototermine 13 Stunden unterwegs. Um Energie zu sparen habe ich mittlerweile zwei Jacken an , zum Glück habe ich vernünftige Klamotten dabei. Nun wird es bereits dunkel und ich mache mich klar für den Abstieg auf der anderen Seite.
Ich fahre vorsichtig und langsam Bergab, den ich bin zu müde für Experimente. Plötzlich sehe ich 3 Zelte und ein paar Fahrzeuge am Wegesrand, ich halte an und sehe das, da noch ein wenig Platz für mich übrig ist. Ich bin zwar weniger abgestiegen als Geplant, aber dieser Einladung kann ich nicht Widerstehen. Mittlerweile fegt ein eisiger Wind über die Straße und ich fange an zu frieren, also baue ich als Erstes mein Zelt auf.
Mitten in meinen Aufbauaktivitäten stehen plötzlich Soldaten der indischen Luftwaffe neben mir und erläutern mir das Sie hier eine Übung abhalten. OK. Ich stelle mich vor, sage, wo ich herkomme und frage, ob es Ihnen etwas ausmacht, wenn ich mein Lager hier aufbaue. Sehr freundlich werde ich zum Abendessen eingeladen und man fragt, ob ich Hilfe benötige. Ich bedanke mich und sage ein Tee wäre im Moment eine Wohltat, dieser wird mir binnen 60 Sekunden gereicht.
Der Aufbau meines Zeltes gestaltet sich im Dunkeln, bei kaltem Wind mit steifen Fingern auf felsigen Untergrund geringfügig schwieriger als im Gartentraining, aber es gelingt mir dennoch.
Ich bringe die Packtaschen unter und mein Rad lege ich hinter dem Zelt. Sobald ich im Zelt bin, befinde ich mich aus dem eisigen Wind und es geht mir schon besser. Als ich dann auch noch die warme Klamotten angezogen bekomme sieht die Welt schon wieder viel freundlicher aus.
Ich gehe zu den Soldaten ins Zelt, wo bereits gekocht wird, es duftet herrlich aber irgendwie bekomme ich beim Gedanken zu essen einen Stein im Magen. Den Tee nehme ich freundlich an und unterhalte mich mit dem leitenden Offizier. Zwar gibt es an den Fahrzeugen keine Abzeichen und die Soldaten tragen weder Namen noch Dienstgrad, doch wer den Ton angibt, findet man auch so heraus. Nach einer halben Stunde “Höflich” erläutere ich Chefe das ich aufgrund meiner Anstrengung leider nichts essen könne, mir geht es einfach nicht gut und ich muss schlafen. Unter der Bedingung zum Frühstück zu kommen werde ich ins Bett entlassen.
Mein Schlafsack wirkt auf mich wie die Lorelei auf den Kapitänen, binnen 30 Sekunden hat er mich warm eingekuschelt. Geistesgegenwärtig nehme ich noch Telefon, Tablett, GPS Spotter und GPS mit Batterien mit in meinem Schlafsack, die sollten nicht so massiv der Kälte ausgesetzt sein. Ich höre noch eine Weile wie der Wind an meinem Zelt zerrt und rüttelt, schlafe aber sehr schnell ein. Leider ist mein Schlaf sehr unruhig, ich werde immer wieder wach. Plärrende Musik, Autos mit laufenden Motor und Kopfschmerzen sind keine gute Schlaftherapie.
Mein Zimmernachbar fängt schon vor 05:00 Uhr an sein Lager Lager abzubauen, Ich drehe mich noch mal um. Dabei sehe ich das mein Zelt mit einer Eisschicht bedeckt ist. Da mir in der Nacht nicht kalt war hat sich offensichtlich meine Suche nach einem anständigen Schlafsack gelohnt. Als ich etwas später aufstehe werde ich mit einer atemberaubenden Aussicht für das verweilen auf dem Berg belohnt. Das ist wirklich ein sehr beeindruckender Moment auf meiner Reise, zumal noch keine Touries herumplärren. Ich löse meine Bringschuld ein und gehe zum Frühstuck. Es gibt Chicken mit Curry Reis vom Vorabend, Kalt versteht sich, die Küche wird ja gerade eingepackt. Es ist dennoch herrlich zu frühstücken und auf die Berge zu schauen, auch wenn mir die Höhe noch ein wenig Ärger, in Form von Schwindel und Kopfschmerzen, bereitet.
Ich frage vorsichtshalber ob es OK ist wenn ich ein paar Fotos mache und bekomme mit Ausnahme von gewissen Bereichen das OK. Als die Jungs sich aufmachen lege ich mich mit meiner Matratze in die Sonne und genieße den Ausblick und das schöne Wetter.
Ich beschließe einfach noch einen Tag zu bleiben, hole mir aber sicherheitshalber mit meinem Delorme InReach über Satellit eine Wettervorhersage. Fetter Strich durch die Rechnung, Sturmböen und Schnee sind ab dem späten Nachmittag für Rothang angesagt. Daher beschließe ich schweren Herzens nicht zu verweilen und mache mich nach einigen Stunden Genießen und faulenzen Nachmittags wieder auf den Weg. Ein erzwungener Abschied vom Berg.
Lieben Gruß
Phil
PS: zum jetzigen Zeitpunkt (5 Tage später), ist der Pass wegen anhaltendem Schneefall wieder gesperrt. Wie gut das ich auf die Wettervorhersage gehört habe.
6 Antworten zu „Von Luftwaffe und Schneeanzuginder, 24.05 Old Manali – Rothang Pass“
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Hey Phil,
um eine Grenzerfahrung reicher, würde ich sagen. Wenn auch nicht die ultrakrasse Nahtod-Runde Rheinbach-Todenfeld, aber immerhin. 😉Bleib heile und bis neulich
Holgi-
Oh Holgi, Rheinbach Todenfeld… da traue ich mich ja gar nicht mehr nach Hause ;-#.
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Mann o Mann! Da ist ja alles bisherige eine nette Sonntagnachmittagsradelei gegen!
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Hi Kay, alles erlebte relativiert sich irgendwann, aber die Aussicht da oben kommt in die Kammer der Top 6 habe ja 4 Kinder und Frau 😉
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ich sag nur Schneeanzuginder – Wort des Jahres 2017!
Wahnsinn Philippo- bei uns geht es morgen mit einem Teil deiner Familie gen Küste- halb so Steil aber auch fein.
Genieß die letzten Tage-
Viel Spaß mit meine Liebsten saBiene, wir sehen und in der kommenden Woche. Kisses. Phil
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