Lockdown Area – 30 Mai, Batote to Jammu, Kashmir, Indien

Lockdown Area – 30 Mai, Batote to Jammu, Kashmir, Indien

Mein Reisebericht, eine Woche später, anhand meiner Notizen niederzuschreiben, lässt mich das Erlebte mit ein wenig Abstand noch einmal Revue passieren. Eins ist mir beim Anschauen dieser Notizen sofort klar geworden, dieser Tag war der extremste meiner Reise, Erklären brauche ich das nicht, Ihr werdet von selbst drauf kommen. An diesem Tag habe ich kaum Fotos gemacht, die meisten ohne überhaupt vom Rad anzusteigen.

Der freundliche Pickup-Fahrer hatte etwas von einem Tunnel erzählt, diesen sollte ich nicht nehmen. Dieser Tunnel ist noch nicht einem in meinem Kartenmaterial / Open Street Map verzeichnet, also muss ich mich am Anfang des Tages auf die Richtungsanweisungen verschiedener Verkehrsteilnehmer verlassen. Die Abfahrt aus Batote werde ich von einem Mopedfahrer begleitet, auch er und sein Begleiter lassen sich den Berg hinunterrollen. Dabei unterhalten wir uns freundlich und ich beantworte auch brav, sehr zur Freude des Fahrers, die gestellten Fragen. Als ich schon wieder einen Hubschrauber bemerke, frage ich den Kollegen was den los sei. Die Antwort will mir so gar nicht gefallen.
Die indische Armee habe 50 Kilometer von hier eine Offensive gegen den Terror im Kashmir gestartet, 10 Terroristen eliminiert, 2 Mudschahedin gefasst und ein paar Aufstände eingedämmt. Srinigar und die Umgebung seien hermetisch abgeriegelt, der Strom, das Internet und Mobilfunknetz sind abgestellt. Alle Geschäfte sind geschlossen und es wurde eine Ausgangssperre verhängt. OK, endlich mal eine Information welche die Situation erklärt, gestern gab es nämlich in Batote auch kein Internet. Auch die deutlich intensiveren Kontrollen der letzten Tage werden mir nun klar. In meiner Zeit als angehöriger der belgischen Armee haben wir solche Szenarien, Abriegeln von Gebieten, Kappen (Sprengen) von neuralgischen Verkehrsknotenpunkte usw. oft auf Manöver geübt / durchgespielt. Das ich das mal in einer realen Situation erlebe, hätte ich nicht gedacht. Nun gut, wer über Informationen verfügt kann sich auf die Situation einstellen.

Im Tal angekommen sehe ich den in meinen Unterlagen nicht existenten Tunnel, er ist 9 Kilometer lang. Die Kontrollposten am Eingang wollen mich nicht durchlassen, wieder den Berg hochfahren und den Pass bezwingen? Das gefällt mir gar nicht denn mein Ziel ist es so schnell wie möglich dieses Gebiet zu verlassen. Doch da taucht ein Weggefährte aus der Stadt auf, der Mopedfahrer arbeitet bei der Tunnelgesellschaft. Nach einige Anrufe darf ich den Tunnel befahren muss aber ein Helm tragen, daher bekomme ich vom Mopedfahrer einen Baustellenhelm am Eingang des Tunnels. Diesen soll ich am Ende einfach wieder abgeben. TOP, die Inder finden für alle Vorschriften pragmatische Lösungen, das gefällt mir sehr.
Da es draußen schon 43 Grad sind, ist es in dem Tunnel nicht viel kühler, Mangels GPS Signal oder KM Angaben weis ich auch nie wie weit ich schon im Tunnel bin. Das einzige was Wirkt in meine Geschwindigkeit zu schätzen und die Distanz in Zeit umzurechnen, so habe ich zumindest einen ungefähren Anhaltspunkt wo ich mich im Tunnel befinde. Der vorhandene Verkehr nimmt toll Rücksicht auf mich als Radfahrer und so komme ich nach 20 Min. am anderen Ende wieder aus der Röhre.

Von da an ist die Welt wieder anders. Die Straßen sind recht gut ausgebaut, wo sie es nicht sind, wird gerade daran gearbeitet. Die Straßen sind voller Militärs, sowohl als gepanzerte Kontrollposten als auch schwer bewaffnete Militärkonvois. In der Richtung wo ich herkomme liegt der zivile Verkehr am Boden, ich sehe nur Militär. Und zwar hunderte Busse zum Personentransport und LKW / Geländewagen mit montierte und besetzte Geschütze. Stellenweise kommt der abfließende Verkehr durch die Kontrollen zum Erliegen. Ich kann mit meinem Rad schön an dem Stau vorbeifahren. Plötzlich grüßt mich ein Motorradfahrer der ebenfalls von hinten den Stau überholt. Es stellt sich heraus das Olli Holländer ist und als 61 Biker mit einer gemieteten Royal Enfield 4 Monate durch Indien fährt. Geil, da wies ich ja jetzt wie ich meine Reisen ab 60 gestalte. Olli kommt aus dem abgesperrten Gebiet und bestätigt die Schilderung des Mopedfahrers von heute Morgen. Er hat, auf Empfehlung des Militärs, 2 Tage sein Hotel nicht verlassen, um anschließend eine aufgezeigte sichere Route aus dem Gebiet zu fahren. Gut, ich befinde mich auf der sicheren Abflussstrecke. Die erneut gesichteten Hubschrauben untermalen die Szene realistisch.

An den Kontrollposten informiere ich mich bei den Militärs, ob meine Strecke für Touristen sicher zu befahren ist, wenn die Soldaten mir keine Antwort geben lasse ich mich immer zum diensthabenden Offizier bringen. Das Militär ist mir gegenüber immer sehr freundlich und hilfsbereit, die Offiziere bestätigen mir das meine Route weitestgehend sicher ist. Aber auch sie empfehlen mir von Menschenansammlungen oder Demonstrationen weit fernzubleiben und mich regelmäßig an den Posten nach der Lage zu informieren. Diesen Rat folge ich gerne. Bei Udhampur hatte ich vor den Shortcut nach Pathankot zu nehmen, mir wurde allerdings vom Kontrollposten geraten auf der Hauptstraße zu bleiben und ein Stopp in Jammu einzulegen, ok erneute Streckenanpassung, mal nicht wegen Schnee, es sind ja mittlerweile 45 Grad.

Von Udhampur bis Jammu sind es glaube ich 60 Kilometer, auf der gesamten Strecke stehen LKW geparkt. Hunderte vollgeladene TATA, die darauf warten das der Verkehr wieder für Zivilisten freigegeben wird. Regelmäßig sichte ich auch Militär welches die Ladungen kontrolliert.
Als ich in einem Geschäft halte um neues Trinken zu kaufen, sitzen dort schon eine Gruppe LKW Fahrer. Ich möchte sie auf einen Tee einladen, aber dies wird abgelehnt, sie bestehen darauf das sie den Tee ausgeben. So sei es, wir unterhalten uns so gut es geht, es werden Fotos gemacht und dich fahre weiter.

Es geht ein Stück weiter bergab und ab und zu durch kleinere Tunnel. In den Tunneln sitzen regelmäßig Affenclans und ich wähle gerne die andere Straßenseite. In einem Tunnel sitzt der Clan in einem offenen Schacht neben der Fahrbahn, daher konnte ich sie nicht sehen. Als ich vorbeifahre, springt plötzlich ein Affe auf die Fahrbahn und kommt völlig aggressiv mit gefletschten Zähnen auf mich zu gerannt. Was habe ich mich erschrocken, den vor Schreck losgelassenen Schrei beeindruckte den Affen weniger, aber zum Glück war ich bergab schnell genug unterwegs um der Situation zu entkommen. Nicht auszudenken was los gewesen wäre wenn es an dieser Stelle Bergauf gegangen wäre. Wahrscheinlich wäre, nach 20 Jahren friedvollen Reisen, das erste Mal mein Pfefferspray zum Einsatz gekommen.

Meine Reise nach Jammu verläuft ohne weitere Vorkommnisse und ich finde auch schnell ein Hotel. Seit Tagen habe ich das erste Mal wieder WIFI, Klima und warmes Wasser. Ich glaube man kann nachvollziehen das dies eine wirkliche Wohltat war. Als Erstes habe ich meine Familie angerufen, anschließen geduscht und gegessen. Eine kleine Stadtbesichtigung waren nach den 105 Kilometer ereignisreicher und 45 Grad heiser Strecke noch drin, aber nur eine kleine.
Als Zusammenfassung lässt sich sagen, dass ich mich zu keinem Zeitpunkt wirklich in Gefahr befunden habe, dennoch war es befreiend auf dem abgeriegelten Gebiet heraus zu sein.
Lieben Gruß
Phil

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